Wehrmacht und sowjetische Kriegsgefangene in Russland: 1941-1944

Die Mehrheit der insgesamt knapp sechs Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam gelangte nicht in das Heimatkriegsgebiet, sondern verblieb oder starb in den besetzten Gebieten. Dieser Teil der NS-Massenverbrechen ist bisher nicht systematisch aufgearbeitet. Während die Situation der sowjetischen Kriegsgefangenen im Deutschen Reich bis auf die Ebene der Lager inzwischen als gründlich untersucht gelten kann, liegen für die eroberten und besetzten sowjetischen Gebiete lediglich Überblicke im Gesamtkontext deutscher Kriegsführung und Militärbesatzung vor. Der Schwerpunkt dieser Studien liegt auf den Jahren 1941/1942. In der sowjetischen Geschichtsschreibung wurde die Thematik weitgehend ignoriert; die post-sowjetische Forschung hat sie bis heute gleichfalls kaum aufgegriffen.

Das Projekt setzt sich zum Ziel, diese Lücke zu schließen, indem es sich auf den Herrschaftsbereich der Wehrmacht in Russland konzentriert und den chronologischen Fokus auf die Jahre bis 1944 ausdehnt. Es verfolgt auf der Grundlage von zum großen Teil neu erschlossenen Archivbeständen deutscher und sowjetischer Provenienz einen multiperspektivischen Ansatz: Hinsichtlich der konkreten Behandlung von Gefangenen sowie der Erfahrung von Gefangenschaft lotet es Spannungen zwischen teils widersprüchlichen politisch-ideologisch-militärischen Zielvorgaben, dem Kriegsgeschehen und Grundverständnissen und -zielen der Akteure der Wehrmacht vor Ort aus und nimmt deren Wechselbeziehung mit Dynamiken der Lagergesellschaft sowie individuellen Überlebensstrategien der Gefangenen in den Blick. Tiefenbohrungen zu ausgewählten Lagerorten und -gruppen, die für die sich ändernden Grundkonstellationen von Krieg und Besatzung stehen – Smolensk, das Dreieck Velikij Novgorod-Pskov-Leningrad, die Linie Kursk-Voronež sowie die Räume Krasnodar und Stalingrad/Rostov – erfassen die dynamische, wechselvolle Gewichtung einzelner Einflussfaktoren für die gesamte Kriegsgefangenschaft im direkten Machtbereich der Wehrmacht.

PROJEKTLEITUNG: Andreas Hilger
LAUFZEIT: 2019 – 2023
MITARBEIT: Matthias Puchta
KOOPERATIONSPARTNER: VDK