Sophie Scholl – zum 100. Geburtstag der deutschen Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus

Beitrag über Sophie Scholl, der zum 9. Mai in der Novja Gazeta erschienen ist.

Am 20. Februar 1943 unterrichtete der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, bei einem Lagevortrag im Führerhauptquartier Hitler über eine Flugblattaktion der Widerstandsorganisation Weiße Rose in München. Dort waren kurz zuvor Sophie und Hans Scholl beim Verteilen von Flugschriften gegen den Krieg und die nationalsozialistische Diktatur im Hauptgebäude der Universität festgehalten und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) übergeben worden. Zwei Tage später verurteilte die NS-Justiz unter dem Vorsitz des extra aus Berlin angereisten „Blutrichters“ Roland Freisler die beiden jungen Widerstandskämpfer zusammen mit ihrem ebenfalls festgenommenen Studienkollegen Christoph Probst wegen „landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung“ zum Tode. Noch am gleichen Tag starben die drei unter dem Fallbeil. Der Henker äußerte später, dass er noch niemanden so tapfer habe sterben sehen, wie Sophie Scholl.

Wer war diese unerschrockene junge Frau, die am 9. Mai vor 100 Jahren in der süddeutschen Kleinstadt Forchtenberg geboren wurde und deren Gedenktag wir in dem Jahr begehen, in dem sich der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zum achtzigsten Mal jährt und wir dem 75. Jahrestag der Verkündung des Urteils gegen die Hauptkriegsverbrecher im Nürnberger Prozess gedenken? 

Sophie Scholl entstammte zusammen mit ihren vier Geschwistern – zwei Schwestern und zwei Brüdern – einer christlich-liberalen Familie. Während der Vater von Anfang an in Opposition zu Hitler stand, fühlte sich Sophie und auch ihr älterer Bruder Hans zunächst vom im „Dritten Reich“ propagierten Gemeinschaftsideal der Nationalsozialisten angezogen und traten den Jugendorganisationen der Nationalsozialisten – der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel bei. Schnell erkannten Beide jedoch die hohlen Versprechungen und leeren Propagandaformeln des Regimes und wandten sich zunehmend von den Nationalsozialisten ab.

1938 kam Sophie erstmals mit der Repression der NS-Diktatur in Kontakt, als sie die Gestapo wegen der Zugehörigkeit ihres Bruders zur bündischen Jugend verhörte. Im Frühjahr 1940 bestand sie das Abitur und nahm danach eine Ausbildung zur Kindergärtnerin auf. 1941 folgte dann ein mehrmonatiger Einsatz beim Reichsarbeitsdienst, bevor sie im Mai 1942 schließlich in München ein Studium der Biologie und Philosophie aufnahm.

Zu dieser Zeit hatten ihr Bruder Hans und der 1917 in Orenburg geborene Russlanddeutsche Alexander Schmorell bereits die Widerstandsgruppe Weiße Rose gegründet und zwischen Juni und Juli 1942 insgesamt vier Flugblätter gegen die NS-Diktatur verfasst und diese anonym an einhundert Adressen von Schriftstellern, Professoren, Buchhändlern und Studienkollegen im Raum München verschickt. Von Mitte Juli bis Ende Oktober 1942 mussten die beiden Medizinstudenten dann einen Einsatz als Sanitäter an der deutsch-sowjetischen Front im Raum Wjasma absolvieren.         

Sowohl Scholl als auch Schmorell erlebten diesen als Wendepunkt ihres bisherigen Lebens. Der Russlanddeutsche sagte dazu später im Verhör durch die Gestapo: „Die Liebe zum russischen Volk wurde durch meinen Osteinsatz im Sommer 1942 noch sehr gesteigert, weil ich mit eigenen Augen gesehen habe, dass die Grundzüge und der Charakter des russischen Volkes vom Bolschewismus nicht viel verändert wurden. […] Wenn ich mit der Waffe in der Hand gegen die Bolschewisten hätte kämpfen müssen, dann hätte ich vor Ausführung dieses Befehls meinen Militärischen [sic] Vorgesetzten darauf aufmerksam gemacht, dass ich das nicht kann.“

Nachdem die beiden angehenden Mediziner mach München zurückgekehrt waren, engagierte sich nun auch Sophie Scholl verstärkt in der Weißen Rose. Sie überzeugte ihre Mitstreiter davon, sich in den Flugblättern endlich an ein breiteres Publikum zu wenden. Zugleich drängte Sophie Scholl darauf, vom bisher postulierten „passiven Widerstand“ Abstand zu nehmen und aktiv zu Bekämpfung der NS-Diktatur aufzurufen.

Als Katalysator für die weiteren Aktionen der „Weißen Rose“ erwies sich die katastrophale Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad. Hierzu gab Schmorell später an: „Durch die Ereignisse in Stalingrad sahen Scholl und ich eine neue Veranlassung ein Flugblatt herauszugeben. Während Scholl über die Ereignisse in Stalingrad sehr bedrückt war, habe ich mich als für Russland sympathisierend über die nun für die Russen geschaffene Kriegslage förmlich gefreut.“ 

Zwischen dem 27. und 29. Januar 1943 erschien daraufhin das fünfte Flugblatt, das zum Bruch mit dem Nationalsozialismus aufrief: „Glaubt nicht, dass Deutschlands Heil mit dem Sieg des Nationalsozialismus auf Gedeih und Verderben verbunden sei! Ein Verbrechertum kann keinen deutschen Sieg erringen. Trennt Euch rechtzeitig von allem, was mit dem Nationalsozialismus zusammenhängt.“ Obwohl sie in gefahrvoller Arbeit mehr als 6000 Exemplare druckten, die – um den Eindruck einer überregionalen Widerstandsbewegung zu erwecken – in sechs süddeutschen und österreichischen Städten verteilt wurden, blieb die erhoffte Reaktion aus.

Anfang Februar entschieden sich deshalb Sophie und Hans Scholl sowie Alexander Schmorell und weitere Mitglieder des Widerstandskreises dazu, ein Flugblatt in Umlauf zu bringen, das diesmal direkt auf Stalingrad Bezug nahm: „Kommilitoninnen und Kommilitonen. Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad. 330.000 deutsche Männer hat die geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten sinn- und verantwortungslos ins Verderben gehetzt. Führer wir danken Dir. Es gärt im deutschen Volk. Wollen wir weiter einem Dilettanten das Schicksal unserer deutschen Armee anvertrauen? Wollen wir den niedrigsten Machtinstinkten einer Parteiclique den Rest unserer deutschen Jugend opfern? Nimmermehr!“ Genau aus diesem Grund forderten sie am Ende des Textes: „Studentinnen! Studenten! Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es, wie 1813 die Brechung des Napoleonischen, so 1943 die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes. Beresina und Stalingrad flammen im Osten auf, die Toten von Stalingrad beschwören uns!“

Von diesem Flugblatt druckte die Widerstandsgruppe mehr als 3000 Exemplare, von denen sie rund 1000 auf dem bereits bekannten Postweg aus verschiedenen Städten in Süddeutschland verschickte. Als die beiden Geschwister am Morgen des 18. Februar 1943 schließlich mehr als 1700 Exemplare der Flugschrift in der Münchner Universität verteilten, wurden sie bei dieser Aktion vom Hörsaaldiener Jakob Schmidt entdeckt und festgehalten. Der SA-Mann übergab die Studenten dem Rektorat, wo sie zunächst vom Universitätssyndikus und dem Rektor befragt wurden. Nach wenigen Stunden überstellte sie die Hochschule der alarmierten Gestapo. Diese ließ sie in die Münchner Zentrale der Geheimpolizei bringen, wo Sophie Scholl durch den Kriminalbeamten Robert Mohr verhört wurde.

Zunächst stritten sie und ihr Bruder jede Beteiligung an der Flugblatt-Aktion ab und konnte den Geheimpolizisten fast von ihrer Unschuld überzeugen. Als jedoch wenig später die Ergebnisse der angeordneten Wohnungsdurchsuchung vorlagen, erwies sich die Last der aufgefundenen Beweise als erdrückend. Die Gestapo hatte nicht nur eine Schreibmaschine, mehr als 100 Briefmarken und eine Armeepistole mit Munition sichergestellt, sondern auch eine Metallschablone mit dem Schriftzug „Nieder mit Hitler“. Da weiteres Leugnen sinnlos gewesen wäre, legten Sophie und ihr Bruder umfassende Geständnisse ab, wobei sie versuchten, ihre an den Widerstandsaktionen beteiligten Freunde zu entlasten und zu schützen, indem sie sich zu den allein verantwortlichen Hauptakteuren erklärten.

Die Protokolle der Gestapo-Verhöre der Mitglieder der Weißen Rose – die ein eindrucksvolles Zeugnis ihres Widerstandwillens ablegen – überdauerten den Zweiten Weltkrieg und gelangten nach dessen Ende als „Trophäenakten“ zunächst ins sogenannte Sonderarchiv des Innenministeriums der UdSSR in Moskau. Während in den 1950er Jahren die Sowjetunion die Mitschriften der Befragungen von Sophie und Hans Scholl an das Institut für Marxismus und Leninismus des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) übergab, verblieben die Protokolle der Verhöre Schmorells in Moskau, wo sie zunächst in die Obhut des KGB übergingen und erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion für die Forschung zugänglich wurden. Auch die Verhörprotokolle der Geschwister Scholl konnten erst nach dem Ende der DDR ohne Einschränkung von der Geschichtswissenschaft genutzt werden. Zuvor durften nur ausgewählte ost- und westdeutsche Historiker diese Quellen einsehen, zudem war für ihre Nutzung jedes Mal die persönliche Erlaubnis von SED-Chef Erich Honecker erforderlich. Offenbar ging es der SED-Führung mit dieser Vorgehensweise darum, umfangreichere Veröffentlichungen zur Weißen Rose und Sophie Scholl zu verhindern, fürchtete man durch diese doch eine Relativierung der in der DDR besonders herausgehobenen Stellung des kommunistischen Widerstandes gegen die NS-Diktatur.             

Zu Beginn ihres Verhör am 20. Februar 1943 erläuterte Sophie der Gestapo nochmals die Beweggründe für ihren Widerstand gegen das NS-Regime: „Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, und dass jedes Menschenleben das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist. Besonders die Opfer die Stalingrad forderte, bewogen uns, etwas gegen dieses unser Ansicht nach sinnloses Blutvergehen zu unternehmen.“ Am Ende des Tages ließ sie von ihrem Vernehmer festhalten: „Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.“  

Am Morgen des 22. Februar 1943 erfolgte schließlich der kurzfristig anberaumte Prozess vor dem Volksgerichtshof. Obgleich keine schriftlichen Zeugnisse der Verhandlung vorliegen, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass hier durch eine politisch motivierte Justiz ein Exempel statuiert werden sollte und der Tod der Angeklagten von vornherein feststand. Nach Augenzeugenberichten knickte Sophie Scholl nicht vor der Machtdemonstration des NS-Regimes ein und entgegnete Blutrichter Freisler nachdem dieser das Todesurteil verkündet hatte: „Euer Terror ist bald vorbei. Unsere Köpfe rollen heute, aber Ihre rollen auch noch.“

Nur zwei Tage nach der Hinrichtung von Sophie Scholl wurde Schmorell, der sich bislang versteckt gehalten hatte, denunziert und verhaftet. Während seines Gestapo-Verhörs am 26. Februar 1943 bekannte er sich nochmals nachdrücklich zu seiner inneren Verpflichtung des Widerstandes gegen Hitler: „Was ich damit getan habe, habe ich nicht unbewusst getan, sondern ich habe sogar damit gerechnet, dass ich im Ermittlungsfalle mein Leben verlieren könnte. Über das alles habe ich mich einfach hinweggesetzt, weil mir meine innere Verpflichtung zum Handeln gegen den nationalsozialistischen Staat höher gestanden ist.“ 

In seinem politischen Bekenntnis vom 8. März 1943 äußerte Schmorell schließlich: „Meiner Ansicht nach stützt sich die nat.[ional] soz.[ialistische] Ordnung zu sehr auf die Macht, die sie in den Händen hat. Sie duldet keine Opposition, keine Kritik, deshalb können die Fehler, die gemacht werden, nicht erkannt, nicht beseitigt werden. Dann glaube ich, dass sie nicht eine reine Ausdrucksform des Volkswillen darstellt. Sie macht des dem Volk unmöglich, seine Meinung zu äußern, sie macht es dem Volk unmöglich, etwas an ihr zu ändern, wenn es (das Volk) auch damit nicht einverstanden ist. Sie ist geschaffen worden, und an ihr darf nicht kritisiert, nichts mehr geändert werden – und das finde ich nicht richtig. […] Meiner Ansicht nach hat jetzt jeder Bürger direkt Angst, irgendetwas bei den Regierungsbehörden auszusetzen, weil er sonst bestraft wird.“

Am 28. April 1943 verurteilte der Volksgerichtshof, erneut unter dem Vorsitz von Freisler, Schmorell zusammen mit zwei weiteren Mitgliedern der Weißen Rose zum Tode. Ein Gnadengesuch für ihn wurde von Himmler mit folgenden Worten zurückgewiesen: „dass die verwerfliche Tat des Alexander Schmorell, die sicherlich zum großen Teil auf seinen russischen Blutanteil zurückzuführen ist, auch ihre gerechte Strafe verdient. Während Tausende wertvoller deutscher Menschen ihr Leben für ihr Vaterland einsetzen, wäre es unverantwortlich, hier den Vollzug der Todesstrafe auszusetzen.“ Am 13. Juli 1943 starb Schmorell im Gefängnis München-Stadelheim durch das Fallbeil.

Das Vermächtnis von Sophie Scholl hat ihre Mörder überdauert. Nach Kriegsende entdeckten Historiker, dass sie auf der Rückseite ihrer Akte während der Gestapo-Haft zweimal das Wort „Freiheit“ geschrieben hatte, einmal davon in Großbuchstaben. 

Am 20. Februar 1943 unterrichtete der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, bei einem Lagevortrag im Führerhauptquartier Hitler über eine Flugblattaktion der Widerstandsorganisation Weiße Rose in München. Dort waren kurz zuvor Sophie und Hans Scholl beim Verteilen von Flugschriften gegen den Krieg und die nationalsozialistische Diktatur im Hauptgebäude der Universität festgehalten und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) übergeben worden. Zwei Tage später verurteilte die NS-Justiz unter dem Vorsitz des extra aus Berlin angereisten „Blutrichters“ Roland Freisler die beiden jungen Widerstandskämpfer zusammen mit ihrem ebenfalls festgenommenen Studienkollegen Christoph Probst wegen „landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung“ zum Tode. Noch am gleichen Tag starben die drei unter dem Fallbeil. Der Henker äußerte später, dass er noch niemanden so tapfer habe sterben sehen, wie Sophie Scholl.

Wer war diese unerschrockene junge Frau, die am 9. Mai vor 100 Jahren in der süddeutschen Kleinstadt Forchtenberg geboren wurde und deren Gedenktag wir in dem Jahr begehen, in dem sich der deutsche Angriff auf die Sowjetunion zum achtzigsten Mal jährt und wir dem 75. Jahrestag der Verkündung des Urteils gegen die Hauptkriegsverbrecher im Nürnberger Prozess gedenken? 

Sophie Scholl entstammte zusammen mit ihren vier Geschwistern – zwei Schwestern und zwei Brüdern – einer christlich-liberalen Familie. Während der Vater von Anfang an in Opposition zu Hitler stand, fühlte sich Sophie und auch ihr älterer Bruder Hans zunächst vom im „Dritten Reich“ propagierten Gemeinschaftsideal der Nationalsozialisten angezogen und traten den Jugendorganisationen der Nationalsozialisten – der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel bei. Schnell erkannten Beide jedoch die hohlen Versprechungen und leeren Propagandaformeln des Regimes und wandten sich zunehmend von den Nationalsozialisten ab.

1938 kam Sophie erstmals mit der Repression der NS-Diktatur in Kontakt, als sie die Gestapo wegen der Zugehörigkeit ihres Bruders zur bündischen Jugend verhörte. Im Frühjahr 1940 bestand sie das Abitur und nahm danach eine Ausbildung zur Kindergärtnerin auf. 1941 folgte dann ein mehrmonatiger Einsatz beim Reichsarbeitsdienst, bevor sie im Mai 1942 schließlich in München ein Studium der Biologie und Philosophie aufnahm.

Zu dieser Zeit hatten ihr Bruder Hans und der 1917 in Orenburg geborene Russlanddeutsche Alexander Schmorell bereits die Widerstandsgruppe Weiße Rose gegründet und zwischen Juni und Juli 1942 insgesamt vier Flugblätter gegen die NS-Diktatur verfasst und diese anonym an einhundert Adressen von Schriftstellern, Professoren, Buchhändlern und Studienkollegen im Raum München verschickt. Von Mitte Juli bis Ende Oktober 1942 mussten die beiden Medizinstudenten dann einen Einsatz als Sanitäter an der deutsch-sowjetischen Front im Raum Wjasma absolvieren.         

Sowohl Scholl als auch Schmorell erlebten diesen als Wendepunkt ihres bisherigen Lebens. Der Russlanddeutsche sagte dazu später im Verhör durch die Gestapo: „Die Liebe zum russischen Volk wurde durch meinen Osteinsatz im Sommer 1942 noch sehr gesteigert, weil ich mit eigenen Augen gesehen habe, dass die Grundzüge und der Charakter des russischen Volkes vom Bolschewismus nicht viel verändert wurden. […] Wenn ich mit der Waffe in der Hand gegen die Bolschewisten hätte kämpfen müssen, dann hätte ich vor Ausführung dieses Befehls meinen Militärischen [sic] Vorgesetzten darauf aufmerksam gemacht, dass ich das nicht kann.“

Nachdem die beiden angehenden Mediziner mach München zurückgekehrt waren, engagierte sich nun auch Sophie Scholl verstärkt in der Weißen Rose. Sie überzeugte ihre Mitstreiter davon, sich in den Flugblättern endlich an ein breiteres Publikum zu wenden. Zugleich drängte Sophie Scholl darauf, vom bisher postulierten „passiven Widerstand“ Abstand zu nehmen und aktiv zu Bekämpfung der NS-Diktatur aufzurufen.

Als Katalysator für die weiteren Aktionen der „Weißen Rose“ erwies sich die katastrophale Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad. Hierzu gab Schmorell später an: „Durch die Ereignisse in Stalingrad sahen Scholl und ich eine neue Veranlassung ein Flugblatt herauszugeben. Während Scholl über die Ereignisse in Stalingrad sehr bedrückt war, habe ich mich als für Russland sympathisierend über die nun für die Russen geschaffene Kriegslage förmlich gefreut.“ 

Zwischen dem 27. und 29. Januar 1943 erschien daraufhin das fünfte Flugblatt, das zum Bruch mit dem Nationalsozialismus aufrief: „Glaubt nicht, dass Deutschlands Heil mit dem Sieg des Nationalsozialismus auf Gedeih und Verderben verbunden sei! Ein Verbrechertum kann keinen deutschen Sieg erringen. Trennt Euch rechtzeitig von allem, was mit dem Nationalsozialismus zusammenhängt.“ Obwohl sie in gefahrvoller Arbeit mehr als 6000 Exemplare druckten, die – um den Eindruck einer überregionalen Widerstandsbewegung zu erwecken – in sechs süddeutschen und österreichischen Städten verteilt wurden, blieb die erhoffte Reaktion aus.

Anfang Februar entschieden sich deshalb Sophie und Hans Scholl sowie Alexander Schmorell und weitere Mitglieder des Widerstandskreises dazu, ein Flugblatt in Umlauf zu bringen, das diesmal direkt auf Stalingrad Bezug nahm: „Kommilitoninnen und Kommilitonen. Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad. 330.000 deutsche Männer hat die geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten sinn- und verantwortungslos ins Verderben gehetzt. Führer wir danken Dir. Es gärt im deutschen Volk. Wollen wir weiter einem Dilettanten das Schicksal unserer deutschen Armee anvertrauen? Wollen wir den niedrigsten Machtinstinkten einer Parteiclique den Rest unserer deutschen Jugend opfern? Nimmermehr!“ Genau aus diesem Grund forderten sie am Ende des Textes: „Studentinnen! Studenten! Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es, wie 1813 die Brechung des Napoleonischen, so 1943 die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes. Beresina und Stalingrad flammen im Osten auf, die Toten von Stalingrad beschwören uns!“

Von diesem Flugblatt druckte die Widerstandsgruppe mehr als 3000 Exemplare, von denen sie rund 1000 auf dem bereits bekannten Postweg aus verschiedenen Städten in Süddeutschland verschickte. Als die beiden Geschwister am Morgen des 18. Februar 1943 schließlich mehr als 1700 Exemplare der Flugschrift in der Münchner Universität verteilten, wurden sie bei dieser Aktion vom Hörsaaldiener Jakob Schmidt entdeckt und festgehalten. Der SA-Mann übergab die Studenten dem Rektorat, wo sie zunächst vom Universitätssyndikus und dem Rektor befragt wurden. Nach wenigen Stunden überstellte sie die Hochschule der alarmierten Gestapo. Diese ließ sie in die Münchner Zentrale der Geheimpolizei bringen, wo Sophie Scholl durch den Kriminalbeamten Robert Mohr verhört wurde.

Zunächst stritten sie und ihr Bruder jede Beteiligung an der Flugblatt-Aktion ab und konnte den Geheimpolizisten fast von ihrer Unschuld überzeugen. Als jedoch wenig später die Ergebnisse der angeordneten Wohnungsdurchsuchung vorlagen, erwies sich die Last der aufgefundenen Beweise als erdrückend. Die Gestapo hatte nicht nur eine Schreibmaschine, mehr als 100 Briefmarken und eine Armeepistole mit Munition sichergestellt, sondern auch eine Metallschablone mit dem Schriftzug „Nieder mit Hitler“. Da weiteres Leugnen sinnlos gewesen wäre, legten Sophie und ihr Bruder umfassende Geständnisse ab, wobei sie versuchten, ihre an den Widerstandsaktionen beteiligten Freunde zu entlasten und zu schützen, indem sie sich zu den allein verantwortlichen Hauptakteuren erklärten.

Die Protokolle der Gestapo-Verhöre der Mitglieder der Weißen Rose – die ein eindrucksvolles Zeugnis ihres Widerstandwillens ablegen – überdauerten den Zweiten Weltkrieg und gelangten nach dessen Ende als „Trophäenakten“ zunächst ins sogenannte Sonderarchiv des Innenministeriums der UdSSR in Moskau. Während in den 1950er Jahren die Sowjetunion die Mitschriften der Befragungen von Sophie und Hans Scholl an das Institut für Marxismus und Leninismus des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) übergab, verblieben die Protokolle der Verhöre Schmorells in Moskau, wo sie zunächst in die Obhut des KGB übergingen und erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion für die Forschung zugänglich wurden. Auch die Verhörprotokolle der Geschwister Scholl konnten erst nach dem Ende der DDR ohne Einschränkung von der Geschichtswissenschaft genutzt werden. Zuvor durften nur ausgewählte ost- und westdeutsche Historiker diese Quellen einsehen, zudem war für ihre Nutzung jedes Mal die persönliche Erlaubnis von SED-Chef Erich Honecker erforderlich. Offenbar ging es der SED-Führung mit dieser Vorgehensweise darum, umfangreichere Veröffentlichungen zur Weißen Rose und Sophie Scholl zu verhindern, fürchtete man durch diese doch eine Relativierung der in der DDR besonders herausgehobenen Stellung des kommunistischen Widerstandes gegen die NS-Diktatur.             

Zu Beginn ihres Verhör am 20. Februar 1943 erläuterte Sophie der Gestapo nochmals die Beweggründe für ihren Widerstand gegen das NS-Regime: „Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, und dass jedes Menschenleben das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist. Besonders die Opfer die Stalingrad forderte, bewogen uns, etwas gegen dieses unser Ansicht nach sinnloses Blutvergehen zu unternehmen.“ Am Ende des Tages ließ sie von ihrem Vernehmer festhalten: „Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.“  

Am Morgen des 22. Februar 1943 erfolgte schließlich der kurzfristig anberaumte Prozess vor dem Volksgerichtshof. Obgleich keine schriftlichen Zeugnisse der Verhandlung vorliegen, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass hier durch eine politisch motivierte Justiz ein Exempel statuiert werden sollte und der Tod der Angeklagten von vornherein feststand. Nach Augenzeugenberichten knickte Sophie Scholl nicht vor der Machtdemonstration des NS-Regimes ein und entgegnete Blutrichter Freisler nachdem dieser das Todesurteil verkündet hatte: „Euer Terror ist bald vorbei. Unsere Köpfe rollen heute, aber Ihre rollen auch noch.“

Nur zwei Tage nach der Hinrichtung von Sophie Scholl wurde Schmorell, der sich bislang versteckt gehalten hatte, denunziert und verhaftet. Während seines Gestapo-Verhörs am 26. Februar 1943 bekannte er sich nochmals nachdrücklich zu seiner inneren Verpflichtung des Widerstandes gegen Hitler: „Was ich damit getan habe, habe ich nicht unbewusst getan, sondern ich habe sogar damit gerechnet, dass ich im Ermittlungsfalle mein Leben verlieren könnte. Über das alles habe ich mich einfach hinweggesetzt, weil mir meine innere Verpflichtung zum Handeln gegen den nationalsozialistischen Staat höher gestanden ist.“ 

In seinem politischen Bekenntnis vom 8. März 1943 äußerte Schmorell schließlich: „Meiner Ansicht nach stützt sich die nat.[ional] soz.[ialistische] Ordnung zu sehr auf die Macht, die sie in den Händen hat. Sie duldet keine Opposition, keine Kritik, deshalb können die Fehler, die gemacht werden, nicht erkannt, nicht beseitigt werden. Dann glaube ich, dass sie nicht eine reine Ausdrucksform des Volkswillen darstellt. Sie macht des dem Volk unmöglich, seine Meinung zu äußern, sie macht es dem Volk unmöglich, etwas an ihr zu ändern, wenn es (das Volk) auch damit nicht einverstanden ist. Sie ist geschaffen worden, und an ihr darf nicht kritisiert, nichts mehr geändert werden – und das finde ich nicht richtig. […] Meiner Ansicht nach hat jetzt jeder Bürger direkt Angst, irgendetwas bei den Regierungsbehörden auszusetzen, weil er sonst bestraft wird.“

Am 28. April 1943 verurteilte der Volksgerichtshof, erneut unter dem Vorsitz von Freisler, Schmorell zusammen mit zwei weiteren Mitgliedern der Weißen Rose zum Tode. Ein Gnadengesuch für ihn wurde von Himmler mit folgenden Worten zurückgewiesen: „dass die verwerfliche Tat des Alexander Schmorell, die sicherlich zum großen Teil auf seinen russischen Blutanteil zurückzuführen ist, auch ihre gerechte Strafe verdient. Während Tausende wertvoller deutscher Menschen ihr Leben für ihr Vaterland einsetzen, wäre es unverantwortlich, hier den Vollzug der Todesstrafe auszusetzen.“ Am 13. Juli 1943 starb Schmorell im Gefängnis München-Stadelheim durch das Fallbeil.

Das Vermächtnis von Sophie Scholl hat ihre Mörder überdauert. Nach Kriegsende entdeckten Historiker, dass sie auf der Rückseite ihrer Akte während der Gestapo-Haft zweimal das Wort „Freiheit“ geschrieben hatte, einmal davon in Großbuchstaben. 

Autor: Dr Matthias Uhl, wissenschaftlicher Mitarbeiter des DHI Moskau

 


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