Transformations of the Urban. Global Perspectives on the History of Industrial Cities

Veranstalter: Deutsches Historisches Institut Moskau und das DFG-Projekt „Industriestädte – Krisen, Krisenwahrnehmungen und Entwicklungsalternativen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg, Professur für Neuere Sozial-, Wirtschafts- und Technikgeschichte; Universität des Saarlandes, Saarbrücken, Lehrstuhl für Kultur- und Mediengeschichte)

Ort: Moskau

Veranstaltungsort: DHI-Moskau

Datum: 18. – 21.4.2018

Deadline für Vortragsvorschläge:
15.8.2017

Die Geschichte von Industriestädten im 20. Jahrhundert wird häufig als Geschichte eines Niedergangs geschrieben. Auf den ersten Blick liegt dies nahe, waren Industriestädte doch klassischerweise Orte von Kohle und Stahl, Eisen, Erdöl oder Massenproduktion. Daher scheinen sie spätestens seit dem Strukturwandel der 1970er Jahre ein Phänomen der Vergangenheit zu sein. Entsprechend konzentriert sich die historische Forschung vorrangig, ganz im Einklang mit verbreiteten Diagnosen eines Endes der Industriearbeit, auf Schrumpfungs- und Deindustrialisierungsprozesse sowie die Neuorientierungen und Umbauversuche von Industriestädten.
Dies ist allerdings in dreierlei Hinsicht problematisch. Erstens folgt es einer Privilegierung des Spektakulären, das man im Niedergang und im Versuch des Neuanfangs leichter findet als in der Beharrung. Das zieht, zweitens, eine empirische Schieflage nach sich, insofern die nicht minder zahlreichen Beispiele der Persistenz industrieller Prägung aus dem Blick geraten. Drittens, folgt eine Erzählung von Aufstieg, Niedergang und Neuanfang einer dezidiert westlichen Perspektive, die zahllose Beispiele außerhalb dieses engen Fokus ausblendet.

Stattdessen möchte die Tagung zum einen den Fokus auf Transformationsprozesse richten. Im Anschluss an den Sozialwissenschaftler Rolf Reißig wird darunter die „Entstehung des ‚Neuen‘ im ‚Alten‘“ unter besonderer Berücksichtigung der Kontingenzen und Diskontinuitäten dieses Prozesses verstanden. Gegenüber dem älteren politikwissenschaftlichen Transformationsbegriff, der, wie es Wolfgang Merkel formuliert, „grundlegenden Wandel“ akzentuiert, gestattet es dieser Zugriff, verschiedene Tempi und Bereiche von Veränderung zu beschreiben. Die Tagung adressiert also nicht nur grundlegende Wandlungsprozesse von Industriestädten zu postindustriellen Städten, sondern möchte den Blick insbesondere auf die viel weniger beachteten graduellen Anpassungsprozesse sowie Beharrungen und Kontinuitäten richten.

Da weder Industrialisierungsprozesse noch Waren- und Rohstoffströme an den Landesgrenzen enden, ist zweitens eine globale Perspektive beabsichtigt. Willkommen sind sowohl vergleichende Vorträge als auch solche, die Verflechtungen und transnationale Austauschprozesse untersuchen. Gerade der Vergleich verschiedener Weltregionen differenziert das Bild vom Ende der Industriestädte und nimmt damit zugleich grundlegende geographische Verschiebungen ihrer Topologie in den Blick. Erwünscht sind ferner Beiträge, die das Globale im Lokalen betrachten und nach städtischen Handlungsspielräumen fragen.

Vor diesem Hintergrund erbitten wir Vorträge zu den folgenden Themenfeldern:

1) Selbstbilder und ihre Medialisierung
Verwiesen Städte Anfang des 20. Jahrhunderts noch stolz darauf ‚Industriestadt‘ zu sein, so ist diese (Selbst-)Etikettierung vor allem in der so genannten ‚Westlichen Welt‘ mittlerweile fast gänzlich verschwunden. Im Gegensatz dazu trägt das indische Jamshedpur nach wie vor den Beinamen ‚Steel City‘ und auch das niedersächsische Wolfsburg bezeichnet sich selbstbewusst als ‚Autostadt‘. Diese Befunde lenken die Aufmerksamkeit darauf, dass industriestädtische Transformationen zeitlich und geographisch variieren und mit Wandlungen der Selbstbeschreibungen und Repräsentationen einhergehen können, aber nicht müssen. Aus medienhistorischer Perspektive ist nach dem Wandel solcher Stadtrepräsentationen sowie nach den Wechselbeziehungen zwischen Selbst- und Fremdbildern zu fragen. Mit Blick auf Transformationen erscheint es nicht zuletzt vielversprechend, die kommunizierten Bilder auf Topoi des Fortschritts und der Zukunftsgewissheit, der Tradition und der Geschichte zu untersuchen.

2) Krisen
Nicht selten wurden industriestädtische Transformationen im narrativen Schema der Krise verarbeitet. Statt dies unkritisch zu übernehmen und von einer ‚wirklichen Krise‘ auszugehen, wie es die Rede von der „Urban Crisis“ suggeriert, sollten die Krisenrezeptionen eher als Verarbeitungsmuster einer sich verändernden Gegenwart untersucht werden. Hinsichtlich der Analyse von Transformationsprozessen könnten konfligierende oder kongruente Krisendiagnosen zum Ausgangspunkt genommen werden, um spezifische Akteurskonstellationen oder Machtverhältnisse näher zu betrachten.

3) Kulturpolitik
In zahlreichen Industriestädten stellen Kulturpolitiken einen nunmehr fast schon etablierten Umgang mit Transformationsprozessen dar. Nicht zuletzt deshalb lohnt sich ein genauerer Blick auf die Persistenzen und Dynamiken dieser Bewältigungsstrategien. Damit können sowohl Entwicklungen kultureller Infrastrukturen und städtischer Kulturökonomien als auch stadtspezifische Entwicklungsalternativen und -blockaden in den Blick geraten. Die Beispiele sind so zahlreich, wie divers und könnten unter anderem die Umnutzung ehemaligen Industriegeländes zu Museen, Stadtfeste oder Kunstprojekte umfassen.

4) Stadtentwicklung und Stadtplanung
Begreift man Transformationsprozesse, wie oben angesprochen, als die Entstehung des Neuen im Alten, so sind Fragen nach Stadtentwicklung und -planung von zentraler Bedeutung. Neben Unterschieden hinsichtlich der Stadtentwicklung, wie etwa spezifische Entwicklungshemmnisse im Kontext unterschiedlicher politischer Rahmenbedingungen, interessieren hier insbesondere Ähnlichkeiten und Entwicklungsparallelen, beispielsweise ähnliche strukturelle Defizite von Industriestädten. Ferner erscheinen Phänomene wie Modernisierungs- oder Revitalisierungsstrategien als vielversprechende Bezugspunkte.

5) Räume
Industriestädte sind spezifische räumliche Konstellationen. Geplante und ungeplante, industrielle, politische und private, um- und ungenutzte Räume: diese und weitere Räumlichkeiten des Industriestädtischen bieten wichtige Gegenstände für Untersuchungen von Transformationsprozessen. Beispielsweise führten bestimmte räumliche Anordnungen, wie etwa die Lage von Stichkanälen oder großräumige Industriebrachen innerhalb der Stadt zu Synergien, Reibungsverlusten oder Unmöglichkeiten im Zuge von Transformationen.

Wir erbitten Vorschläge, die sich auf eine oder mehrere dieser Perspektiven beziehen und dabei Transformationsprozesse untersuchen. Erwünscht sind sowohl Vorträge, die vergleichend vorgehen oder Einzelstudien vorstellen als auch Vorträge die transnationale Verflechtungen analysieren.

Bitte schicken Sie ein Abstract von etwa 300 Wörtern sowie einen kurzen Lebenslauf bis zum 15.8.2017 an Jörn Eiben (eibenj@hsu-hh.de).

Die Konferenzsprachen werden deutsch, englisch und russisch sein.

Call for Papers in English